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Die Heimatküche ist tot! Es lebe die Heimatküche!

Was bedeutet für euch Heimatküche? Sind das Gerichte aus eurer Kindheit? Gerichte, die eure Oma für euch gekocht hat, eure Mutter? (Vermutlich in selteneren Fällen auch mal der Opa oder der Vater, so ist es zumindest in meiner Generation…). Ist Heimatküche dasselbe wie Wohlfühlküche? Ist Heimatküche eine regionale Küche? Ist Heimatküche eine veraltete Küche, also immer verknüpft mit der Vergangenheit?

Fragen über Fragen. Die habe ich mir gestellt, als mich mein Kollege Nikolai Wojtko, kurz Nik, zum diesjährigen FEC-Workshop mit den JRE eingeladen hat. FEC? JRE? FEC steht für Food Editors Club, ein Zusammenschluss von Menschen, die sich beruflich mit dem Thema Kulinarik beschäftigen und darüber als Journalist:innen oder Kochbuchautor:innen schreiben, im Fernsehen oder auf Veranstaltungen moderieren. Seit rund einem Jahr bin ich hier Mitglied.

JRE steht für Jeunes Restaurateurs, ebenfalls ein Zusammenschluss von Personen mit dem Thema Kulinarik, allerdings sind sie allesamt aus der Praxis, genauer gesagt sind es ambitionierte Köch:innen aus der gehobenen Gastronomie.

Nik organisiert einmal im Jahr einen Workshop, bei dem beide Gruppen zusammenkommen. Wir, die Wortmenschen halten kleine Impulsvorträge zu einem Thema, die Jeunes kochen vor Ort zum gleichen Thema. Dieses Jahr ging es um das Thema „Heimatküche 2.0“.

Workshop zum Thema Heimatküche: JRE treffen auf FEC

Wenn ich das Wort Heimatküche höre, denke ich an meine Oma Maria: an Endivieneintopf, Graupensuppe, Kartoffelsalat mit Essiggurken und Speck, an Linsen- und Erbsensuppe. Aber auch an Rouladen oder Sauerbraten mit Rotkohl und Klößen von meiner Mutter oder an die Reibekuchen vom meinem Vater.

Ich habe mich gefragt, was andere Menschen sich unter dem Begriff wohl vorstellen, ob es gemeinsame Nenner gibt und was denn überhaupt eine Heimatküche 2.0 sein kann.

Dazu habe ich recherchiert und möchte hier die Ergebnisse, die ich in dem Workshop präsentiert habe, mit euch teilen. Was ich zusammengetragen habe, ist nicht neu, aber es zeigt, wie die Begriffe aktuell verstanden bzw. interpretiert werden.

Davon erzähle ich auf dieser Seite:

Küchenschlacht zum Thema „Omas Klassiker 2.0“
ChatGPT über Heimatküche bzw. Heimatküche 2.0
Gedanken von Foodies zum Thema Heimatküche
Heimatküche bei Ottolenghi
Heimatküche, Comfort Food oder Soul Food?
Heimatküche 2.0 auf den Tellern der Jeunes Restaurateurs
Heimatküche aus geschichtlicher, ernährungswissenschaftlicher und medialer Perspektive

Küchenschlacht zum Thema „Omas Klassiker 2.0“

Zufälligerweise hatte die ZDF-Küchenschlacht im Oktober 2024 ein ganz ähnliches Thema: „Omas Klassiker 2.0 ist ein sehr emotionales Motto“, sagt Moderator Robin Pietsch einleitend. „Die lässt man ja eigentlich immer so stehen, wie sie ist. Das ist eine Herzensküche, eine Wohlfühlküche, eigentlich will man die gar nicht verändern.“ Die Aufgabe der Kandidaten war es, Pfiff in die Gerichte zu bringen, Texturen zu verändern und den Geschmack anzupassen, ohne jedoch den Original-Geschmack zu verändern.

In der Sendung gab es dann zum Beispiel ein Saiblingsfilet im Tramezzini-Mantel auf Orangen-Kartoffelpüree mit Brokkoli in Sojasoße und mit Miso-Hollandaise, dekonstruierte Wareniki (das sind Kartoffelteigtaschen mit Kartoffeln und Zwiebeln) mit sautierten Waldpilzen und Parmesanschaum oder Spaghetti Bolognese mit geschäumter Parmesansoße, Pancetta-Chips und Basilikum-Öl.

Das ist ja schon mal ein interessanter Ansatz, wenn man darüber spekuliert, was Heimatküche 2.0 eigentlich sein kann.

ChatGPT über Heimatküche bzw. Heimatküche 2.0

Jemand, der (vermeintlich) alles weiß, ist ChatGPT – zumindest hat das Programm einen guten Überblick über alles, was so im Netz veröffentlicht wird. Daher habe ich mal diese Künstliche Intelligenz gefragt, was sie unter den Begriffen „Heimatküche“ bzw. „Heimatküche 2.0“ versteht.

Das ist die Antwort:

„Heimatküche“ beschreibt traditionelle, oft regionale Gerichte, die mit Heimat und Nostalgie verbunden sind. Es geht um eine Art von Küche, die typisch für eine bestimmte Region oder Kultur ist und oft mit Kindheitserinnerungen oder familiären Traditionen assoziiert wird. Die Gerichte der Heimatküche sind oft einfach, bodenständig und verwenden regionale Zutaten. Sie sind besonders beliebt für ihren authentischen Geschmack und die Nähe zu traditionellen Kochmethoden. In der deutschen Küche umfasst die Heimatküche zum Beispiel Gerichte wie Bratkartoffeln, Sauerbraten, Rouladen, Eintöpfe und verschiedene Mehlspeisen.“

„Heimatküche 2.0“ steht für eine moderne Interpretation der traditionellen Heimatküche. Dabei werden klassische, oft regionale Gerichte neu gedacht und zeitgemäß angepasst, zum Beispiel durch innovative Zutaten, frische Zubereitungsmethoden oder eine modernere Präsentation. Ziel ist, den nostalgischen Charakter und die Aromen der traditionellen Küche beizubehalten, aber mit einem modernen Twist, der sie leichter, gesünder oder abwechslungsreicher macht. Beispiele für Heimatküche 2.0 könnten sein: Ein Sauerbraten-Burger, vegetarische oder vegane Varianten von traditionellen Fleischgerichten oder neu interpretierte Beilagen wie eine Rotkohl-Apfel-Salsa statt Rotkohl.“

Interessant. Das deckt sich ja schon mal mit meinen ganz persönlichen Assoziationen zum Thema Heimatküche.

Gedanken von Foodies zum Thema Heimatküche

Dann wollte ich gerne noch wissen, was Foodies und Menschen, die sich beruflich mit Kulinarik beschäftigen, unter dem Begriff verstehen. Daher habe ich eine kleine Umfrage unter den Mitgliedern des Food Editor Clubs und in meinem Food-Netzwerk gestartet und auch mal geschaut, was unter dem Hashtag Heimatküche im Netz und in den Sozialen Medien so auftaucht.

Repräsentativ ist mein Ergebnis sicherlich nicht, aber es vermittelt einen guten Eindruck davon, wie der Begriff aktuell besetzt ist:

Heimatküche ist…

  • ein Schwammiger Begriff, jede Person assoziiert andere Gerichte damit
  • Traditionalität, Regionalität, Saisonalität
  • verbunden mit (positiven) Emotionen, Erfahrungen und Erinnerungen wie Geborgenheit, Wohlgefühl, Heimeligkeit, Vertrautheit, Liebe, Herzenswärme, Nähe, Fürsorge, Vertrautheit (v.a. für Migrant:innen)
  • Essen zu Hause, Essen mit Familie, Essen zu Festen; Gerichte, die man selber kochen kann, die frisch zubereitet werden
  • Essen, das mit einer Region und Kultur verbunden ist, von dem es daher unterschiedliche Variationen gibt
  • verbunden mit folgenden Assoziationen: Stichwort Mutter und Oma, Kindheitserinnerungen, vom Aussterben bedrohte Gerichte, seit Generationen weitergegebene Gerichte
  • eine einfache, bodenständige, pure, deftige, ehrliche Küche
  • auch verbunden mit negative Assoziationen wie altbacken, romantisiert, schwammig, nicht klar definierbar, Vereinnahmung des Begriffs durch Nationalsozialisten, Angst vor dem Begriff „Deutsche Küche“, andauerndes Vorurteil von „Fett, Wurst und Sauerkraut“
  • Typische Gerichte sind: Eier in Senfsoße, Königsberger Klopse, Sauerbraten, Reibekuchen, Rouladen, Rübenmus , Aalsuppe, „Frische Suppe“ , Fisch mit Senfsoße, Matjes mit Speckbohnen, Fliederbeersuppe, Hühnersuppe , Lasagne, Caesar Salad, Birnen-Bohnen-Speck, Grünkohl mit Pinkel, Steckrübeneintopf, Schweinebraten, Fischstäbchen mit Kartoffelsalat, Früchtesuppe, Pommes Currywurst, Schnitzel, Spätzle, Hackbraten, Krustenbraten, Maultaschen, Kartoffelbrei, Labskaus, Sauerkraut u.v.m.

Heimatküche bei Ottolenghi

Mit 2,6 Millionen Followern bei Instagram und neun Bestseller-Kochbüchern gilt Yotam Ottolenghi, mein Lieblingskoch, als einer der einflussreichsten Köche der Welt. Interessanterweise hat er mit dem Titel „Comfort“ gerade ein neues Kochbuch rausgebracht, das ziemlich nah dran ist an dem Thema Heimatküche.

Unter Comfort Food verstehen Ottolenghi und seine Team (frei übersetzt) ein Essen,

  • das wir nach einem harten Tag zu Hause zubereiten
  • das wir zubereiten, ohne groß darüber nachzudenken
  • mit dem wir aufgewachsen sind, das uns daran erinnern, wie es war, Kind zu sein und umsorgt zu werden
  • dem wir nicht widerstehen können, weil es genau „ins Schwarze trifft“
  • das Geborgenheit, Bequemlichkeit, Nostalgie und Genuss vereint

„Das Konzept von Comfort Food ist recht einfach zu verstehen. Schwieriger festzulegen sind jedoch die tatsächlichen Gerichte, die auf die oben genannten Punkte zutreffen. Was für die eine Person das perfekte Wohlfühlessen ist, könnte für die nächste eine Herausforderung sein. Das Konzept ist sehr persönlich, stark verbunden mit dem Ort „Zuhause“, mit Familie, mit Erinnerungen und sogar mit den zufälligen Eigenheiten des menschlichen Geschmacks“, heißt in dem Buch.

Und weiter: „Wir können unser Kinderzimmer, unser Sofa oder unseren Lieblingsplatz für Familienpicknicks nicht einfach mit uns herumtragen. Aber wenn wir zum Beispiel die Hühnersuppe vermissen, die unsere Mutter oder unser Vater für uns gekocht hat, wenn wir als Kinder Trost brauchten, können wir versuchen, diese Gerichte nachzukochen. Sie sind „essbare Übergangsobjekte“ und nichts katapultiert uns schneller zurück zu dieser Umarmung von damals, als genau diese Suppe.“

Das ist doch auch eine gute Beschreibung von Heimatküche oder?

Heimatküche, Comfort Food oder Soul Food?

Soul Food und Comfort Food sind übrigens nicht dasselbe, auch wenn die Begriffe häufig synonym verwendet werden.

Ich habe meine Magisterarbeit damals über Soul Food geschrieben. „African American Foodways: Soul Food as a Preserver for Black Cultural Identity”, lautet der Titel.

Soul Food ist aus einer Küche des Mangels entstanden: Während der Sklaverei in den USA der 1960er Jahren mussten sich Afroamerikaner:innen in den Südstaaten von minderwertigen, billigen Zutaten oder Essenresten ihrer Sklavenhalter:innen ernähren. Weniger beliebte Fleischteile wie Innereien oder Hähnchenflügel (heute voll in: Chicken Wings), Kohl, Mais oder Bohnen zum Beispiel. Zu „Soul Food“ wurden diese Mahlzeiten u.a. dennoch, weil die Familie zu dieser Gelegenheit zusammen sein konnte.

Was wir oft als Soul Food bezeichnen, muss daher korrekterweise eigentlich Comfort Food, „Wohlfühl-Essen“, heißen. Denn mit Soul Food im ursprünglichen, oben beschriebenen Sinne, hat das Essen, das wir bezeichnen möchten, eher wenig zu tun.

Heimatküche 2.0 auf den Tellern der JRE

Nach diesem kleinen wissenschaftlichen Exkurs, möchtet ihr jetzt sicher noch wissen, was es in dem Workshop zu essen gab oder? Die Jeunes hatten alle ein Gericht aus ihrer Heimatküche im Gepäck:

Felix Dietz aus dem Rive in Hamburg brachte uns ein Gericht mit, in dem er zwei seiner Heimatküchen miteinander verband: Nordsee-Krabben auf leicht geschmortem und trotzdem noch knackigem, mit Kümmel verfeinertem Kohl. Hamburg meets Bayern.

Auch Simon Schlachter aus dem Pavo im Allgäu kombinierte zwei Heimatküchen: Regionale Zutaten aus seiner Heimat treffen auf seine Sehnsuchtsküche. Gekonnt kombiniert in Form eines Pulled Pork im Bao Bun. Regionale Zutaten, asiatisch gewürzt.

Andreas Widmann aus dem Albleben in Schwaben hat uns gezeigt wie wandelbar so eine Alblinse sein kann. Sein Gericht war meilenweit entfernt von der klassischen, deutschen Linsensuppe und trotzdem eine Form von Heimatküche.

Hardcore Heimatküche gab es bei Tobias Bätz und Joshi Osswald aus dem Aura. Sie haben in Franken ein eignes Food Lab entwickelt, das Anima, in dem sie mit Zutaten aus der Region experimentieren. Statt ein einzelnes Gericht mitzubringen, haben sie uns von ihren abgefahren Kreationen probieren lassen. Dazu erzähle ich bald noch mal mehr.

Abschließen möchte ich mit einem Zitat von Nik, denn besser hätte ich es nicht schreiben können: „Die Arbeiten der Jeunes Restaurateur stellen eindeutig unter Beweis: Heimat kulinarisch betrachtet ist kein romantischer Sehnsuchtsort, sondern ein moderner deutscher Kochstil, der regionale Lebensmittel weltoffen zubereitet und damit kulinarisch auf die Weltkarte setzt.“

Heimatküche aus geschichtlicher, ernährungswissenschaftlicher und medialer Perspektive

Wenn ihr es bis hierhin geschafft habt, dann interessiert euch das Thema Heimatküche vermutlich sehr. Daher fasse ich noch in einem klitzekleinen Absatz zusammen, worüber meine Kolleg:innen bei dem Workshop gesprochen haben:

Als Gastrosoph hat Nikolai Wojtko einen Blick auf die Geschichte der Heimatküche geworfen und anhand der neuesten Daten aus dem Deutschen Archiv für Kulinarik aufgezeigt, welche Rolle Köch:innen bei dem Thema spielen, indem sie bestimmte Gerichte für bestimmte Regionen prägen.

Sarah Schocke, Ökotrophologin und Kochbuchautorin, hat das Thema Nachhaltigkeit und Gesundheit in der Heimatküche in den Blick genommen und vorgeschlagen, an welchen Stellschrauben wir bei den Rezepten drehen können, um eine Heimatküche jenseits schwerer Soßen und fetter Braten zu kreieren.

Anja Tanas ist sicherlich vielen WDR-Zuschauer:innen ein Begriff. Als Medienjournalistin hat sie das WDR-Format „Heimathäppchen“ umgesetzt. In ihrem Vortrag hat sie uns einen Blick hinter die Kulissen des Senders gewährt und gezeigt, wie der Begriff über die Jahre hinweg einen emotionalen Wandel erfahren hat.

Zu Gast waren wir übrigens bei R Express, einem Lebensmittelgroßhändler, der vor allem die gehobene Gastronomie beliefert. Ein Blick hinter die Kulissen war für uns auch Teil des Workshops. Vielen Dank dafür!

Uff. Das war viel Input, oder? Wenn ihr Lust habt, schreibt mir gerne unter den Beitrag eure Gedanken zum Thema Heimatküche!

Liebe Grüße
Eure Julia

Inspiration für ein weiteres Rezept

2 Kommentare

  • Anja
    9. Februar 2025 um 12:24

    Liebe Julia
    Vielen Dank für den Einblick und deine spannenden Gedanken.
    Für mich bedeutet Heimatküche eine Mischung aus regionalen/landtypischen Gerichten und den Gerichten aus meiner Kindheit. Das 2.0 trägt dann meiner heutigen Ernährung oder Ansprüchen Rechnung.
    Liebe Grüsse
    Anja

    Antworten
    • Julia Uehren
      10. Februar 2025 um 12:19

      Liebe Anja, vielen Dank früh einen netten Kommentar! Dein Eindruck deckt sich ja mit dem, was ich recherchiert habe 🙂
      Liebe Grüße
      Julia

      Antworten

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