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Rezensionen

Rezension: „Hidden Kitchens“ von Nikki Silva and Davia Nelson

Weiter geht’s mit der Aktion „Jeden Tag ein Buch“…. Heute möchte ich euch ein ganz besonderes Buch vorstellen. Es ist weder ein Kochbuch (dabei enthält es auch Rezepte), noch ist es ein Roman oder ein Sachbuch. Am ehesten würde ich es als Geschichten-Buch bezeichnen, weil es genau das tut: Es erzählt Geschichten. Natürlich nicht irgendwelche Geschichten – es geht ums Essen, ums Kochen, um Küchen, um Kultur, um Familien, um unglaubliche Geschichten, um Geschichten die zu Tränen rühren, um Geschichten, die einen leise kichern lassen.


Der Titel des Buches: Hidden Kitchens*. Die US-Radioreporterinnen Nikki Silva und Davia Nelsen spüren für ihre NPR-Radiosendung „Hidden Kitchens“ Küchen auf, die unentdeckt, unbekannt oder besonders sind. Sie treffen dabei auf eine fahrbare Küche, auf der eine Brasilianerin nachts für die Taxifahrer in San Francisco kocht, hören von einem Gefangenen, der im Gefängnis Pralinen herstellt, oder – für mich die spannendste Geschichte – beschreiben die Küche von Georgia Gilmore in Alabama, die mit ihrem „Wohnzimmer-Restaurant“ das Civil Rights Movement unterstützt hat.

* Leider gibt es dieses Buch nur in englischer Sprache.

Warum ich euch dieses Buch vorstellen möchte:

Aber wie es sich für Löffelgenuss gehört, erzähle ich euch erst mal die Geschichte zum Buch:

Wie ihr vielleicht von meiner (viel zu langen?) Beschreibung auf der About-Seite wisst, habe ich damals meine Magisterarbeit über Esskultur geschrieben und bin seitdem fasziniert von diesem Thema. Eine Kommilitonin schenkte mir zum Studienabschluss dann auch das Buch „Hidden Kitchens“. Ich war begeistert von den Geschichten und noch viel mehr von der Idee der beiden Radioreporterinnen, durch das Land zu reisen und nach Leuten zu suchen, die auf eine außergewöhnliche Art und Weise kochen. Und: Ich war mitten in meiner Berufsfindungs- und Bewerbungsphase.

Wie es der Zufall wollte, hörte ich von einem Recherchestipendium für junge Journalisten. Das wär’s doch, dachte ich – und bewarb mich darum, die beiden Radioreporterinnen in den USA auf ihrer Suche nach Hidden Kitchens belgeiten zu dürfen und ihr Konzept anschließend auf Deutschland zu übertragen (ja ja, ich hatte groooße journalistische Pläne…).

Bei meinen Recherchen fand ich heraus, dass eine der beiden – Davia Nelson – ein paar Wochen später auf einem Kongress in Berlin sein würde. Ha, dachte ich, das musst du nutzen, um aus erster Hand über das Projekt zu erfahren. Außerdem brauchte ich für meine Bewerbungen noch ein paar aktuelle Arbeitsproben.

Also schrieb ich die Kitchen Sisters (so nennen sich die beiden) an und bat um einen Interview-Termin. Und ich bekam einen! 🙂 Das war der Hammer! So eine große Nummer hatte ich bisher noch nicht vorm Mikro gehabt (bisher war ich immer nur fürs Bochumer Campusradio C.T. unterwegs gewesen…). Auch wenn es mit dem Stipendium leider nicht geklappt hat – das Gespräch mit Davia war super spannend und dieses Buch ist eine schöne Erinnerung daran. (Wer Lust hat, kann meinen Radio-Betrag über Hidden Kitchens hier anhören).

So entstanden die „Hidden Kitchens“

Alles begann mit dem Besuch bei Janete, einer Brasilianerin, die in San Francisco jede Nacht auf einer kleinen fahrbaren Küche für die Taxifahrer Essen aus ihrer Heimat zubereitet. Davia hatte von ihr gehört, als sie mit einem der vielen brasilianischen Taxifahrer ins Gespräch kam und ihr auffiel, dass viele von ihnen aus dem gleichen brasilianischen Dorf kamen.

Nachdem sie diese „hidden kitchen“ entdeckt hatten, war die Idee geboren, dass es doch noch mehrere solcher Küchen geben müsse, die irgendwo im Verborgenen betrieben werden. Und tatsächlich: Sie entdeckten eine Frau, die in Santa Cruz Tamales verkaufte, die sie in einem Kinderwagen umherfuhr, oder vietnamesische Nagelpflegerinnen, die sich Heiligabend in einem ihrer Salons trafen und gemeinsam Spring Rolls aßen.

Die Kitchen Sisters begannen, herumzufragen – erst im Bekanntenkreis, später sprachen sie mit Experten: mit Schriftstellern, Bibliothekaren, Restaurantkritikern, Köchen und so weiter. Um sich ein möglichst rundes Bild über die amerikanische Küche zu machen, haben sie schließlich übers Radio einen Aufruf gestartet. „Thanks for calling the Hidden Kitchens project. I’m Jay Allison. The Kitchen Sisters and I are gathering stories for a new radio series about street-corner cooking, kitchen traditions, and visionaries – how communities come together through food. Tell us, who glues your community together through food and where do they cook? Who are the local pioneers and kitchen visionaries? What food tradition is disappearing from your life, from your neighborhood, from the planet? What should be captured and documented before it disappears or changes beyond recognition? You tell us.“

Ihrem Aufruf sind über 1.000 Amerikaner gefolgt; es sind knapp 50 Stunden erzählter Geschichten zusammengekommen. Das Buch gibt einen Einblick in diese Geschichten.

Das bietet das Buch:

Aufgebaut ist „Hidden Kitchens“ nach den verschiedenen Arten von Küchen-Geschichten: Straßen-Küchen, gefährdete Küchen, Kampagnen-Küchen, Großmütter-Küchen, visionäre Küchen… Anhand von zehn Kapiteln stellen die Kitchen Sisters dem Leser beispielhaft diese Küchen vor.

Gespickt sind die Kapitel immer wieder mit einigen der Nachrichten, die sie aufgenommen haben. Das gefällt mir an diesem Buch am besten: Diese kleinen Einschübe, die mit „Message #120 was received Saturday at 10:00 AM“ starten – wie zum Beispiel diese hier:
„Hi, this is Linda Fedewa. I’m calling from East Lansing, Michigan. Our son works up in Traverse City on a road-building crew. These fellows are grimy, hardworking physical laborers, and when they take their asphalt trucks out, they use some of the asphalt as an oven. They bring in food in the morning raw, and then they lay several folds of asphalt over the food so it works as an oven. And at lunchtime, they go back to that spot on the road, dig up their hot lunch, and they’ve got the community food ready.“

Wollt ihr noch eine Geschichte hören? Dieser Geschichte widmen die Kitchen Sisters ein ganzes Kapitel und ich finde sie am coolsten von allen:

„A Secret Civil Rights Kitchen: Georgia Gilmore and the Club From Nowhere“.

Das Restaurant von Georgia Gilmore, das sie in ihrem Wohnzimmer führte, war definitiv eine hidden kitchen – wäre es öffentlich gewesen, wäre es verboten worden. Denn in den 1950ern war es Schwarzen und Weißen in den Südstaaten nicht erlaubt, gemeinsam in einem Restaurant zu essen, genauso wie sie auf verschiedene Schulen gehen oder im Bus getrennt Platz nehmen mussten.

Diese Rassentrennung passte Georgia Gilmore nicht: Eines Tages, es war 1955, warf sie ein Busfahrer aus dem Bus und verlangte von ihr, im hinteren Teil, der für die Schwarzen reserviert war, wieder einzusteigen. Als sie nach anfänglichem Zögern seinem Geschrei folgte und ausstieg, schloss der Busfahrer die Tür und fuhr davon.

Ihre Antwort: „You cannot be afraid if you want to accomplish anything. You got to have the willin’, the spirit, and above all, you got to have the get-up.“ Meine freie Übersetzung: „Wenn man etwas erreichen will, darf man keine Angst haben. Man braucht Willen, Glauben und dann muss man einfach anfangen.“ Diese Aussage, die auch die Zeitungen abdruckten, sollte Folgen haben: Das Restaurant, in dem sie jahrelang als Köchin arbeitete, feuerte sie.

Inzwischen waren ihre Kochkünste aber so bekannt, dass niemand anderes als Dr. Martin Luther King sie ermutigte, in ihrem Haus zu kochen. Er habe einen Ort gebraucht, wo er den Leuten trauen konnte, wo sie sich sicher fühlen konnte, wo man gemeinsam essen konnte, erinnert sich ein Augenzeuge.

Immer mehr Leute kamen in Georgias Wohzimmer-Restaurant und immer mehr engagierten sich politisch für die Abschaffung der Rassentrennung beziehungsweise für das Civil Rights Movement, das später folgen sollte. Mit ihrer Küche hat Georgia Gilmore diese Bewegung unterstützt.

Ich könnte noch stundenlang weitererzählen, aber ach…..

Kulinarische Grüße!
Eure Julia

2 Kommentare

  • Sabine @ www.schmeckt-nach-mehr.de
    15. Juli 2013 um 13:38

    Tausend Dank für diese Rezension, ohne die ich bestimmt nie auf dieses Buch gestoßen wäre! Ich habe es mir gleich bestellt – was Essen mit Identität (und damit auch mit Gefühlen) zu tun hat, ist auch „mein“ Thema. Ich bin sehr gespannt auf die „Hidden Kitchens“!

    Antworten
    • julia
      19. Juli 2013 um 21:29

      Oh, das freut mich sehr! Meld‘ dich doch mal, wenn du’s gelesen hast, ich kenne sonst niemanden, der es auch gelesen hast und bin gespannt, wie andere es finden.
      Ich habe gerade mal bei deinem Blog vorbei geschaut. Gefällt mir! Das ist ja sehr interessant, deine These passt ja ziemlich gut zu meiner These über Soul Food 🙂 Und dein Kochbuch steht auch schon auf meiner Wunschliste! 😉

      Antworten

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